Lernen als working student

Praktikum bei Charlotte Wagner – Klassische Reitkunst

„Von Juni bis Oktober 2019 verbrachte ich 4,5 Monate im wunderschönen Gschnitztal als Praktikantin bei Charlotte. Gegen Mithilfe im Stall erhielt ich Unterricht in der Ecole de Légèreté, und auch in Horsemanship.

Ich brachte meine 11-jährige Haflingerstute Maracuja mit, die mit einigen körperlichen Problemen und schwierigem Verhalten (Fehlstellung der Vorderhufe, Hufrehe, Hufknorpelverknöcherung, EMS, Losreißen und Durchgehen, …) bereits stark von der Arbeit nach der klassischen Reitkunst profitiert hatte. Allerdings war ich oft auf mich alleine gestellt, da ich nur sporadisch Reitunterricht nehmen konnte und daher viel durch Bücher und Videos selbst lernte. Ich hatte zwar seit meinem 8. Lebensjahr Reitunterricht, doch im konventionellen Sinne – dies begann ich bald abzulehnen, da ich merkte, dass es den Pferden nicht guttat. Ich hatte mein Pferd also bis zum Beginn des Praktikums seit seinem dritten Lebensjahr fast alleine ausgebildet, und auch selbst bereits häufig Unterricht gegeben (Longieren am Kappzaum, Arbeit an der Hand, Dressur, Sitzschulungen mit Centered-Riding-Elementen – ich bin Ausbilderin Level 1), doch wollte ich mich noch weiter verbessern.
Charlotte brachte uns noch einmal auf ein ganz anderes Level.
In der ersten Einheit zeigte sich, dass wir noch einmal an den grundlegenden Basics arbeiten mussten: Impulsion, Kontakt (am Zügel), Schulterbalance, Präzision der Hilfen etc. Nach den ersten Abkau-, Biege- und Handarbeitsübungen war mein Pony nur mehr am Gähnen, Kauen, Schlecken. Maracuja zeigte deutlich, wie gut ihr die Übungen taten. Auch ich war nach der ersten Stunde extrem begeistert, wie Charlotte unsere Schwach- und Problemstellen entdeckt und mit uns daran gearbeitet hatte. Charlotte legt immer viel Wert auf Details und präzises Arbeiten. Das war in den Unterrichtseinheiten manchmal sehr anstrengend, doch dafür verbesserten Maracuja und ich uns innerhalb weniger Wochen enorm. Charlotte zeigte uns ein logisches System, das von einfachen zu immer anspruchsvolleren Übungen übergeht bzw. zu Kombinationen von Übungen. Der gymnastische Effekt war groß, Beweglichkeit und Kraft von Maracuja verbesserten sich rasch. Charlotte traute uns auch bereits fortgeschrittene Lektionen zu, schnell arbeiteten wir an Trab- und sogar Galopptraversalen und versuchten uns ein wenig in Kontergalopp. So eine große Steigerung in wenigen Monaten hatte ich zuhause in Jahren nicht erreicht!
Auch die Verhaltensprobleme von Maracuja, d.h. Losreißen und Durchgehen in für sie aufregenden Situationen, die manchmal noch auftraten, bearbeiteten wir. Auf einem Spaziergang, bei dem wir einem schmalen Bergpfad hinaufgingen, drehte sie durch – Charlotte übernahm und so konnten wir ruhig und sicher den Spaziergang fortführen. Daraufhin arbeiteten wir viel vom Boden aus, an der Stresstoleranz und an der Konzentration auch in schwierigen Situationen. Das „Aushalten“ von Unangenehmen verbesserte sich stark, und nach kurzer Zeit konnte ich den Bergpfad locker am Knotenhalfter gehen und auch reiten. Wir bewältigten letztlich auch ihr „Kryptonit“, nämlich Kühe, und das Einsteigen in den Hänger.
Nach einiger Zeit durfte ich auch weitere Pferde arbeiten, etwa die großartige kleine Shetlandponystute Flora, mit der ich regelmäßig den Platz abzog, spazieren ging, sie longierte und mit ihr Handarbeit machte. Das Pony war ganz anders zu arbeiten als Maracuja, ich musste meine Arbeitsweise an die Bedürfnisse dieses Ponys anpassen, wobei ich sehr viel lernen konnte. Auch mit der Araberstute Ahlia und dem Quarterhorsewallach Viper durfte ich trainieren. Es war ein ganz spezielles Hochgefühl, wenn die sensible Araberstute begann, sich zu dehnen, mobiler zu werden, abzuschnauben, mal richtig durchzuatmen. Viper beherrschte bereits viel, bei ihm musste ich eine ganz feine Körpersprache anwenden.
Das Berittpferd Remus, ein 6jähriger Friesenwallach, war ein ganz besonderer Fall. Von seinem Wesen her ein lieber Kerl, war er mit Reiter eher Sprengstoff, der jederzeit explodieren konnte. Er war zum Anreiten bei Charlotte, die ihn zuerst viel an der Longe arbeitete und mit Handarbeit aufs Reiten vorbereitete. Auch ich durfte ihn longieren und an der Hand arbeiten. Ich wurde dann auch als „Reitdummy“ eingesetzt, dafür musste ich mein ganzes Können aus Centered Riding anwenden – Kleinigkeiten wie ein ausgestreckter Finger oder zu langes Einatmen ließen Remus sofort hochgehen. Durch dieses Pferd konnte ich lernen, wie extrem fein ein Pferd auf den Reiter reagieren kann und welche Minischritte manches Pferd braucht, um sich sicher zu fühlen.
Eine besondere Ehre war es, auf Charlottes Oldenburgerstute Charisma zu reiten und sie auch selbstständig an der Longe zu arbeiten. Ihre großen, schwungvollen Bewegungen waren eine Herausforderung für den Reitersitz, am Boden benötigte sie eine starke Führung.
Durch die Arbeit mit diesen unterschiedlichen Pferdetypen erhielt ich immer mehr Sicherheit in der Arbeit mit verschiedenen Pferden und dem Erkennen und Lösen ihrer unterschiedlichen Probleme.
Besonders viel mitnehmen konnte ich auch durch Zusehen bei Charlottes Reitunterricht. Speziell die ersten Übungen, die in der Ecole de Légèreté durchgeführt werden, d.h. Abkau-, Biegeübungen, Handarbeitsfiguren, Action-Reaction etc., könnte ich nun sofort durchführen, würde man mich um drei Uhr früh aus dem Bett holen. Durch die Bandbreite der SchülerInnen und ihrer Pferde, von Araber über Hannoveraner, Isländer, Pony bis halbes Kaltblut war alles dabei. Die meisten befanden sich (in Hinblick auf die Ecole de Légèreté) auf Anfänger- oder leicht Fortgeschrittenenniveau, und ihnen bei ihren Fortschritten, die sie wirklich in Riesenschritten machten, zuzusehen, war herrlich. Selten habe ich so eine konstante und logisch aufgebaute Arbeit, die nahtlos auch Wochen später an dem zuvor Bearbeiteten anschließt, gesehen.
Zusätzlich zum Unterricht hielt Charlotte auch Theorieeinheiten ab, wo wir (Praktikantinnen, EinstellerInnen) Näheres über das System der Légèreté erfuhren, konkrete Fragen stellen konnten, Fotos und Videos beurteilten etc.
Neben der Arbeit mit den Pferden war im Stall immer viel zu tun. Zwischen acht und neun Pferde plus zwei Schafe und eine kleine Gruppe Hühner versorgen, füttern, tränken, ausmisten, die Anlage sauber halten, Platz abziehen, zwei Mal Heu machen (ich durfte sogar Traktor fahren!), Zaun bauen, … Die Tage vergingen wie im Flug und ich liebte es. Ich stand lieber stundenlang im Pferdemist, als nur wenige Minuten in einem Büro vor dem Computer zu sitzen. Dabei war die Arbeit nicht streng durchgetaktet – Charlotte war immer auf mein und das Wohlbefinden der zweiten Praktikantin, die etwa ein Monat nach mir ebenfalls auf dem Hof begonnen hatte, bedacht. Wenn wir einen freien Tag brauchten, war es kein Problem, einen zu bekommen. Aber solange ich nicht wirklich dringend woanders sein musste, war ich lieber im Stall. Es ist ein großartiges Gefühl, mitverantwortlich für das Wohlergehen der Tiere zu sein und sich um sie zu kümmern.
Auch die Atmosphäre auf dem Hof war immer super. Charlotte ist immer freundlich und entspannt, wir führten tolle Gespräche miteinander und lachten jeden Tag. Wir unterhielten uns nicht nur über die Arbeit am Hof und die mit den Pferden, sondern auch über andere Themen wie passende Ausrüstung, Fütterung, Hufpflege, ihre Arbeit an der Klinik, wissenschaftliche Themen, Veganismus etc. Ich hatte das Gefühl, dass sie mir auf Augenhöhe begegnete, und nicht als Hofchefin oder nur Reitlehrerin. Meine Meinungen und Ideen wurden respektiert und wertgeschätzt und ich hatte das Gefühl, wichtig zu sein und zum Funktionieren des Stalls beizutragen. Auch mit Charlottes Freund Simon, den beiden EinstellerInnen Keke und Christoph, Remus‘ Besitzerin Lisa, und nicht zuletzt der zweiten Praktikantin Kyra verstand ich mich aufs Beste, wir teilten dieselben Ansichten und konnten über dieselben Dinge lachen.
Insgesamt habe ich die Zeit in Gschnitz sehr genossen, ich habe viel gelernt, viele Gleichgesinnte und damit Freunde gefunden und kann diese Erfahrung nur jedem empfehlen!