Unterricht, Charlotte Wagner, klassische Reitkunst
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Die natürliche Schiefe

Die Liebe und der Respekt zum Pferd gebietet es, dass der Reiter dafür Sorge trägt, das Pferd in die Lage zu bringen, sich auch mit der ungewohnten Last auf dem Rücken auszubalancieren und sein Gewicht gleichmäßig auf seine vier Beine zu verteilen. Damit wird vorzeitigem Verschleiß des Pferdes vorgebeugt. Die Vervollkommnung dieser Balance wird zur lebenslänglichen Aufgabe. Von Geburt an hat jedes Pferd eine natürliche Schiefe, ähnlich dem Menschen, der Rechts-oder Linkshänder ist. Es gibt Pferde, die nach rechts hohl sind, und ihr Gewicht über die linke Vorhand abstützen. Die nach links hohlen Pferde stützen ihr Gewicht über die rechte Vorhand ab. Das bedeutet, die jeweilige abstützende Gliedmaße trägt die meiste Last. Dies wird unter dem Reitergewicht zum Problem und führt zu frühen Verschleißerscheinungen.

Zusätzlich zu der Schiefe des Pferdes kommt die Schiefe des Reiters. Wenn dieser sich ohne entsprechende Vorbereitung auf das Pferd setzt, ist leichtes Reiten unmöglich.

Das bedeutet, dass einerseits beim Pferd gymnastizierende Vorarbeit geleistet werden muss, andererseits der Reiter an seinem eigenen Körpergefühl und seiner Balance arbeiten muss. Nur so kann später eine harmonische Einheit von Reiter und Pferd entstehen. Bestehen beim nicht gymnastizierten Reiter Steifigkeiten in den Gelenken von Kopf bis Fuß kann dieser nicht mit den Bewegungen des Pferdes mitschwingen und stört dieses im Bewegungsablauf. Zusätzlich kann das Pferd durch falsche Gewichtsbelastung durch den Reiter die geforderten Bewegungsabläufe nicht ausführen. Dies wird dann oft versucht, durch vermehrten Zügeleinsatz zu kompensieren. In der Folge verspannt sich das Pferd, belastet sich ungleichmäßig und der Teufelskreis beginnt. Es kann zu Sehnenproblemen durch die Fehlbelastung kommen und nicht selten müssen Tiere frühzeitig durch Einschläfern erlöst werden. Oft kann allein das durchdachte Gymnastizieren und Reiten des Pferdes, den Tierarzt und Physiotherapeuten oder Osteopathen ersetzen.

Erste Schritte, die natürliche Schiefe auszugleichen

Ein wichtiger Grundsatz ist, das Pferd nicht in eine bestimmte Haltung zu zwingen. Das ruft Widerstand und Verspannungen hervor. Ein wichtiger Pfeiler ist die Geduld. Muskeln, Sehnen und Bänder brauchen Zeit, um sich umzuformen und dehnbar zu werden. Man kann die Gymnastik des Pferdes durchaus mit der des Menschen vergleichen. Wenn man beispielsweise einen Spagat oder eine komplizierte Figur beim Tanzen übt, braucht es Zeit bis die Bewegung wie gewünscht ausgeführt werden kann. Manchmal dauert es ein ganzes Leben.

Ebenso verhält es sich beim Pferd. Ist dieses beispielsweise nach rechts hohl, müssen wir es immer wieder für kurze Reprisen auffordern, sich vermehrt nach links zu biegen und sein linkes Hinterbein vermehrt zum Tragen einzusetzen. Des Weiteren kann man z.B. durch die Konterstellung auf der rechten Hand, das Gewicht von der linken auf die rechte Schulter verlagern und erhält so eine neue Balance.

Wichtig ist, anfangs nur kurze Reprisen zu verlangen. Das Pferd soll positive Erfahrungen machen und nicht mit Schmerzen oder Stress als Zeichen der Überforderung reagieren.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, den Kopf des Pferdes nicht in eine tiefe Position zu zwingen. Nur eine vom Pferd freiwillig eingenommene Haltung hat einen gymnastischen Nutzen und fördert zudem die Kooperationsbereitschaft des Pferdes.

Es ist verbreitet, sich um eine tiefe Kopfeinstellung des Pferdes zu bemühen, sei es mit harter Hand, Ausbindern oder Schlaufzügeln. Man kann das machen, muss sich jedoch im Klaren darüber sein, dass dies zu frühzeitigem Verschleiß des Pferdes führen und das Pferd niemals reell über den Rücken gehen wird. So wird der sogenannte Schenkelgänger geformt. Die freiwillige Kooperation mit dem Menschen ist nicht gegeben.

Vielmehr ist es wichtig, das Pferd durch Biegeübungen in eine Dehnungshaltung zu bringen, in der es den Widerrist anheben und den Rücken aufwölben kann. Das Pferd soll dabei den Kontakt zum Gebiss suchen. Es ist nicht die Aufgabe der Reiterhand durch aktives Ziehen, den Kopf des Pferdes hinter die Senkrechte zu bringen. Der Spannungsbogen geht verloren, sobald das Pferd am Widerrist abknickt.

Zusammenfassend ist also zu sagen, dass zu Beginn die korrekte Dehnungshaltung mit einem Anheben des Widerristes anzustreben ist und die kontraktere Seite des Pferdes gedehnt werden muss. Außerdem soll durch gezieltes Abfragen von Richtungswechseln und Einbeziehung der Konterstellung die Balance verbessert und die Belastung gleichmäßig auf alle vier Beine verteilt werden.

Im folgenden wird es dem Pferd immer leichter fallen, sich korrekt mit angehobenem Widerrist und angehobener innerer Schulter auf beiden Händen auf einem Zirkel fortzubewegen. Das Ziel besteht darin, beide Seiten, also sowohl rechts als auch links, möglichst aneinander anzugleichen, so dass das Pferd auf seiner hohlen Seite nicht mehr über die äußere Schulter ausbricht und auf der scheinbar steiferen Seite nicht mehr über die innere Schulter nach innen kippt. Dabei soll es seine Hinterbeine möglichst gleichmäßig und aktiv zum Schieben und Tragen einsetzen. Damit ist schon viel erreicht. Ausgehend von dieser Basis kann weitergearbeitet und beispielsweise die Seitengänge entwickelt werden.

Es gilt „Der Weg ist das Ziel“. Ob das Ziel des symmetrischen Pferdes jemals erreicht werden wird, sei dahingestellt. Aber das Ziel eines Pferdes, das sich und den Reiter aktiv über eine gut aufgebaute Muskulatur trägt anstatt über Sehnen, Bänder und Gelenke, ist erreichbar. Und dies ist die Grundlage eines langen, gesunden Pferdelebens mit Spaß bei der Arbeit mit dem Menschen.

Also genießt den hoffentlich langen Weg mit Euren Pferden und seid stets offen, dazuzulernen!

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