Vielseitigkeit in der Pferdeausbildung

oder „Was bedeutet Klassische Reitkunst“?


Fein reiten, E.d.L. Klassische Reitkunst Komtess an der Doppellonge Arbeit an der Hand


Heutzutage kaufen sich viele Menschen ein Pferd, das sie selbst ausbilden möchten. Die Gründe dafür sind sehr vielfältig. Manchen ist es wichtig, ein wirklich unberührtes Pferd, das noch durch keine anderen Menschen verdorben wurde, zu kaufen. Bei anderen ist es eher ein finanzieller Grund, da ein ausgebildetes Pferd oftmals teurer ist. Wieder andere reizt es, das eigene Pferd auch wirklich selbst ausgebildet zu haben und und und….

Es hängt sehr von der Gutmütigkeit und des Charakters des erworbenen Tieres ab, ob die Vorstellungen in die Praxis umgesetzt werden können. Denn die wenigsten Reiter haben Erfahrung in der Pferdeausbildung und häufig treten Probleme auf, die nicht selbständig gelöst werden können. Auch eine vielseitige Ausbildung des Pferdes bleibt dann oft auf der Strecke. Man traut sich nicht ins Gelände und im Springen ist man auch nicht so versiert. Schon der Galopp ist eine Gangart, die viele bei ihrem nicht ausgebildeten Pferd am liebsten vermeiden möchten. Also dreht man seine Kreise auf dem Reitplatz und der Fortschritt bleibt oft genug aus.

Eine hochkarätige und aktuell sehr populäre Reiterin und Ausbilderin von Pferden ist Ingrid Klimke. Sie veranschaulicht sehr schön die vielseitige Ausbildung eines Reitpferdes. Auch Philippe Karl, ein hochkarätiger Ausbilder von Pferden und Reitern aus Frankreich steht einerseits natürlich für die enorme Leichtigkeit seiner Reitweise, andererseits aber auch für die Vielseitigkeit. Bei ihm werden die Pferde an der Longe und auch unter dem Sattel gesprungen, ins Gelände geritten, und eben als (Haupt-)bestandteil auch dressurmäßig gymnastiziert. Die Bodenarbeit und die Arbeit an der Hand stehen ebenfalls auf dem Programm. Hier zeigen sich die Führungsqualitäten eines Pferdemenschen. Die Kombination von Natural Horsemanship und dem Reiten nach der École de Légèreté ist äußerst beliebt. Dabei sei angemerkt, dass eine wirklich gute Longenarbeit mehr Ähnlichkeit mit der Arbeit des Natural Horsemanship hat als mit dem Longieren nach den Standards in konventionellen Reitställen. (Letztlich führen auch Pat Parelli und seine Lehrmeister Ihre Praktiken auf die Klassiker, nicht zuletzt Xenophon (siehe auch Klassische Reitkunst), zurück. Und hier wie da steht die Vielseitigkeit auf dem Lehrplan. Die Pferde werden über Hindernisse longiert, durchqueren Flüsse usw. Wie häufig sieht man eine derart vielseitige Grundausbildung? Unter klassischer Reitkunst verstehen viele nur das ferne Ziel, Piaffen, Passagen, Pirouetten usw. reiten zu können. Ich verstehe darunter vielmehr, nämlich die Art des Umganges mit dem Pferd. Die Frage nach dem Wie und dem Warum ich etwas mache. Und eben nicht nur die Frage, WAS ich mit meinem Pferd machen kann. Und auch wenn ich es schaffe, mein Pferd so zu schulen, dass es leichtfüßig piaffiert, so soll es ebenso Sprünge absolvieren können und im Gelände ein Partner sein, der nicht vor jeder Pfütze scheut.


Fein reiten, E.d.L. Der Lange Zügel-Komtess Fleur an der Doppellonge Freies Spiel, Tessi, 30 Jahre


Was bedeutet in diesem Zusammenhang eigentlich klassisch? Der Duden führt als Bedeutungsübersicht das Folgende an:

  1. die antike Klassik betreffend
  2. die Merkmale der Klassik tragend, die Klassik betreffend
  3. (in Bezug auf Aussehen oder Formen) in [althergebrachter] mustergültiger Weise [ausgeführt], vollendet, zeitlos
  4. herkömmlich, in bestimmter Weise traditionell festgelegt und so als Maßstab geltend
  5. (umgangssprachlich) klasse

Dies beinhaltet einerseits den Ursprung, andererseits auch Beschreibungen wie mustergültig, vollendet, zeitlos. Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.

Die Grundsätze der Reitkunst werden bei Wikipedia wie folgt erklärt (Quellen u.a.: Reitkunst, Xenophon, Übersetzung von du Paty de Clam, enthalten in Die Wagen und Fahrwerke der Griechen und Römer, Johann Chr. Grinzrot, 1817; Le maneige royal, Antoine de Pluvinel, 1605; Das Gymnasium des Pferdes, Gustav Steinbrecht, 1886; „Vollständiger Unterricht in den Wissenschaften eines Stallmeisters“, Johann B. von Sind, 1770; Méthode d’équitation basée sur de nouveaux principes, Francois Baucher, 1842):

“ Das Prinzip der Freiwilligkeit zieht sich durch die Interpretationen der Reitkunst aller Epochen.[2][3][4] Die angestrebte Langlebigkeit des Reitpferdes wird durch individuelles, biomechanisch angemessenes Training des Bewegungsapparates und pädagogischen Umgang erreicht.[4] Das Pferd wird in der Reitkunst als künstlerisches Medium verstanden, das es optimal in Szene zu setzen gilt. Dabei soll der Reiter eine untergeordnete, unauffällige und gute Figur machen und das Pferd mit unsichtbaren Hilfen steuern.[1][5] Den Reitkünstler zeichnet eine besonnene, beherrschte und konzentrierte Geisteshaltung aus.[6]“

Und diese Grundsätze sind meiner Meinung nach die Essenz. Ob ein Reiter mit seinem Pferd Lektionen der hohen Schule ausführen kann, ist zweitrangig, solange die Grundsätze beachtet werden. Und hier schließt sich der Kreis wieder. Denn nur eine möglichst vielseitige Ausbildung erfüllt die Kriterien, ein langfristig psychisch und physisch gut trainiertes und freiwillig mitarbeitendes Pferd zu besitzen, das leicht an den Hilfen steht.


Mein Pferd Komtess Der Lange Zügel-Komtess Lady beim Ausritt, 2012 Komtess und Charlotte


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